Schmerz erkennen und handeln

Menschen mit Demenz können sich irgendwann nicht mehr erinnern, wie sich Schmerz anfühlt und deshalb auch nicht äußern, dass sie Schmerzen haben. Zudem wird Schmerz bei den unterschiedlichen Formen der Demenz anders verarbeitet. Zum Beispiel liegt bei AlzheimerpatientInnen die Toleranzschwelle, ab wann Schmerz als nicht mehr erträglich empfunden wird, weit höher.

Weitere kognitive Einschränkungen führen zum Verlust der Möglichkeit sich verbal mitzuteilen, was es für Pflegende besonders schwierig macht, zu erkennen, ob jemand Schmerzen erleidet oder nicht.

Die negative Auswirkung dieses Phänomens ist, dass viele Menschen mit Demenz Schmerzen haben, diese jedoch nicht erkannt und in Folge inadäquat behandelt werden.

Schmerzfolgen

Schmerz hat eine wichtige Schutzfunktion für den Körper. Schmerz zeigt an, dass etwas nicht stimmt. Werden akute Schmerzen über einen längeren Zeitraum ignoriert oder falsch behandelt, kann dies schwerwiegende Folgen haben.

Es entwickelt sich ein Schmerzgedächtnis. D.h. die Nervenzellen reagieren schon bei schwachen Reizen so, als ob ein starker Schmerz bestehen würde. Im Körper laufen viele physiologische Prozesse ab, wenn Schmerz von den Nervenzellen weitergeleitet wird. Bei permanenter Belastung durch Schmerz müssen diese Mechanismen auf Hochtouren laufen. Dies bedeutet Stress für den Körper. Eine große Gefahr besteht auch darin, dass der Schmerz chronisch und damit schwieriger zu behandeln wird.

Weitere Folgen von andauerndem Schmerz neben dem Stress sind Angst und Depressionen. Zustände, die Schmerz zusätzlich verstärken.

 

Schmerzursachen

Die häufigsten Ursachen für Schmerz im Alter sind:

Degenerative Veränderungen des Bewegungsapparates, Frakturen und ihre Folgen, (insbesondere aufgrund von Osteoporose), Immobilität, chronische Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, Insultfolgen, Phantomschmerzen, Polyneuropathien, Trigeminusneuralgien und Tumore.

Schmerz erkennen

Aus der Schmerzerkennung ergeben sich auch die Beobachtungsfaktoren, welche pflegende Angehörige notieren können, um die Schmerzdiagnose zu unterstützen.

Wichtig ist,

  1. eine Anamnese (Vorgeschichte) zu erheben. Hat ein Mensch bis vor kurzem Schmerzmittel benötigt, beziehungsweise hat dieser immer wieder Schmerzen angegeben, dann hat er aller Wahrscheinlichkeit nach auch jetzt Schmerzen.
  2. ein Schmerztagebuch zu führen, um feststellen zu können, wie lange der Schmerz schon besteht, wie häufig und mit welcher Intensität. Als Messinstrumente bieten sich Skalen mit Zahlen oder smileys an.
  3. zu beschreiben, wo genau der Schmerz auftritt.
  4. ob und in welchen Bereichen die betroffene Person durch den Schmerz beeinträchtigt ist.
  5. was gegen den Schmerz geholfen hat. Dies können Medikamente, aber auch andere Maßnahmen sein.

(Formulare dazu finden Sie im Internet oder Sie bitten in der Schmerzberatung um ein Formular.)

Nach McCaffery und Pasero gibt es 5 hierarchische Möglichkeiten zur Einschätzung der Schmerzstärke:

  • Selbstauskunft der Patienten (bei fortgeschrittenem Stadium der Demenz schwierig).
  • Wenn Situationen eintreten, welche typischerweise Schmerz verursachen, dann ist davon auszugehen, dass der/die Betroffene Schmerz empfindet.
  • Beobachtung des Verhaltens (dazu näheres bei ZOPA)
  • Einschätzung durch pflegende Angehörige – Studienergebnisse zeigen, dass hier die große Gefahr der Unterschätzung besteht.

 

OSiA

Die Bezeichnung OSiA steht für „optimiertes Schmerzmanagement in Altenpflegeheimen“ und ist eine österreichweite Studie, die vom Institut für Pflegewissenschaft und -praxis, in Kooperation mit dem Salzburger Universitätsklinikum für Geriatrie bzw. dem Lehrstuhl für Geriatrie an der PMU durchgeführt wird. Partner des wissenschaftlichen Projekts ist die SeneCura Kliniken- und HeimebetriebsgmbH, Österreichs größter privater Pflegeheimbetreiber.

Ergebnisse

Rund 50 bis 80 Prozent der PflegeheimbewohnerInnen haben Schmerzen. Schmerzen gehören im Alter einfach dazu sagen (68 Prozent) viele Befragte. Oder, dass sie Schmerzen verschwiegen hätten (40 Prozent), um den Pflegenden nicht zur Last zu fallen. Es besteht auch die Angst, aufgrund der Schmerztherapie eine Abhängigkeit zu entwickeln.

Eine weitere Erkenntnis der Forschenden ist, dass zusätzlich zu den oben genannten Auswirkungen PflegeheimpatientInnen ohne Schmerztherapie, einen signifikant niedrigeren MMSE-Score, als PatientInnen, mit Schmerztherapie haben. D.h. die kognitiven Einschränkungen, welche den Alltag erschweren sind deutlich höher.

Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass insbesondere Pflegekräfte, sinngemäß auch pflegende Angehörige, da sie die ersten AnsprechpartnerInnen für die Betroffenen sind, besonders geschult werden müssen, um Schmerz erfassen zu können.

 

ZOPA

Zopa-Zürich Observation Pain Assessment- ist ein standardisiertes Instrument, um bei kognitiven Einschränkungen Hinweise zu erlangen, ob Schmerz besteht.

Wesentlich ist, die Einschätzung kontinuierlich und auch mehrmals täglich durchzuführen, um zu einem verwertbaren Ergebnis zu kommen. Diese Parameter können pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz, welche nicht mehr in der Lage sind, selbst zu sagen, ob, wo und wieviel es weh tut, nutzen, um dem Arzt/der Ärztin wertvolle Hinweise für eine Schmerztherapie zu geben. Denn Schmerzmittel ist nicht gleich Schmerzmittel. Es gibt Spezialisten für Schmerztherapie. Diese  berücksichtigen auch Wechselwirkungen mit den bestehenden Medikamenten, denken an eine entsprechende Begleittherapie und wissen, dass manche Medikamente im Alter nicht mehr angewendet werden sollen.

Beobachtet werden

  • Lautäußerungen wie Stöhnen oder Klagen,
  • der Gesichtsausdruck – ist er verzerrt, gequält, werden die Zähne zusammengepresst oder ist Tränenfluss zu beobachten,
  • die Körpersprache – besteht Ruhelosigkeit, oder kann das Reiben eines Körperteiles beobachtet werden, ist die Körperhaltung angespannt,
  • und physiologische Indikatoren wie Blutdruck, Puls, Atemfrequenz, Schwitzen oder Röte.

Schmerz kann sich bei Menschen mit einer dementiellen Erkrankung in Seufzen, Jammern, Schreien, in Hilferufen, Schaukeln/Wippen, oder der plötzlichen Beendigung von Routinetätigkeiten äußern. Schmerzfolgen, wie Bewegungseinschränkung, sozialer Rückzug, Appetitlosigkeit, verstärkte Unruhe, verminderter Schlaf und durch die mangelnde Erholung, weniger Energie tagsüber erschweren die herausfordernde Pflege eines Menschen mit Demenz zusätzlich. Deshalb ist es besonders wichtig auf all diese Symptome zu reagieren und im Hinterkopf die Frage zu behalten – besteht vielleicht Schmerz?

Pflegende Angehörige spielen eine wichtige Rolle, in der Schmerztherapie für Menschen mit Demenz. Oft sind sie die Schlüsselperson, welche durch ihre aufmerksamen Beobachtungen den Anstoß gibt, eine Schmerztherapie einzuleiten.

 

Quellenverzeichnis:

McCaffery, Margo: Schmerz, 1997, Ullstein Mosby, Berlin.

Optimiertes Schmerzmanagement in Pflegeheimen: Online im WWW unter der URL.:  http://www.pmu.ac.at/news/article/studie-optimiertes-schmerzmanagement-in-pflegeheimen-auf-dem-deutschen-geriatrie-kongress-vorgestellt.html (letzter Zugriff 12.12.2017)

Schreier, M.M. / Stering, U./ Pitzer, S. /Iglseder, B. / J. Osterbrink (2015): Schmerz und Schmerzerfassung in Altenpflegeheimen; Ergebnisse der OSiA-Studie, in: Der Schmerz, 31/2017, Springer Verlag.

ZOPA© – Das Zurich Observation Pain Assessment. Online im WWW unter der URL.: http://www.pflegeportal.ch/pflegeportal/ZOPA_Das_Zurich_Observation_Pain_Assessment.php (letzter Zugriff 17.12.2017).